"Bist du dir sicher, Tandral?"
"Ja, bin ich. Lass uns die Ruinen erforschen."
Der Druide sah nachdenklich zu seinem Freund hinüber. Dessen Miene wirkte entschlossen, ja geradezu versteinert. Er konnte nur erahnen, was im Kopf des Kriegers vor sich ging.
Der Krieger lockerte seine Muskeln und vergewisserte sich, dass die Zweihandaxt, die er auf dem Rücken trug, bereit war.
Auch Kilean machte seine Stangenwaffe griffbereit. Obwohl sie gehört hatten, dass sie Ruinen vor kurzem bereits erstürmt worden waren, rechneten sie mit allem.
Die Ruinen von Ahn'Qiraj waren anders als Kilean sie sich vorgestellt hatte. Im erheblichen Gegensatz zum Rest des Landes war es hier erheblich kühler, fast kalt. Scharfe Winde fegten über die Ruinen und wirbelten den Sand auf.
Kilean murmelte etwas und schien kurz zu schwächeln, fing sich aber sofort wieder. Auch der Wind schien ein wenig nachgelassen zu haben.
"Beeindruckend", bemerkte Tandral.
"Ich habe versucht, den Wind zu besänftigen... aber die Wut, die in ihm ruht, ist unglaublich."
Die Steinbauten waren bar jeden Lebens, wie sie feststellten als sie langsam tiefer vordrangen.
Kein einziger Silithid weit und breit, nur einige Male schreckten sie harmlose Skarabäen aus dem Sand auf.
"Welch unwirtlicher Ort", meinte Kilean während sie durch die Ruien liefen. Der Krieger nickte nur.
Als sie um eine Ecke bogen, schreckte Kilean zusammen. "Bei Elune!" Vor ihnen lag der Kadaver eines gigantischen Qiraji, dessen Arme in mannsgroßen Zangen endete.
"Ich erinnere mich an diesen hier. Das ist Rajaxx, ihr General... er war es, der Fandrals Sohn ermordet hat.
"Viele von uns starben, egal wer ihr Vater war", bemerkte Tandral trocken und zuckte mit den Schultern.
"Da hast du wohl Recht. Aber wenige starben so wie er... ich glaube deshalb erinnern die meisten sich an Valstann besonders gut."
Tandral erwiderte nichts und bedeutete dem Druiden, ihm zu folgen. Er führte ihn zu einer Bodensenke, in der sich Regenwasser gesammelt hatte. Ihnen gegenüber konnten sie den wohl größten Silithiden sehen, den Kilean bisher erblickt hatte.
"Uh, was ist das dort drüben?"
"Die Brutmutter? verstehst du jetzt, warum der Kampf nie endete? Nie enden konnte?"
"Sie legt unentwegt Eier... vermutlich auch die letzten tausend Jahre, nicht wahr?"
"Natürlich. Was sagst du nun, wo du den Schrecken hier mit eigenem Auge siehst?"
"Ich kann mir nicht vorstellen wie man hier tausend Jahre verbringen soll. Und doch hast du es geschafft..."
"Es gibt immer Verstecke - für Körper als auch Geist."
"Was meinst du?"
"Sieh dich um. Hier leidet nicht nur der Körper."
"Ich bewundere dich dafür, dass du hier 'nur' dein Gedächtnis verloren hast... und nicht soviel mehr."
"Mein Gedächtnis, mein Auge... vermutlich auch meinen Verstand."
"Du wirkst recht bei Sinnen", murmelte Kilean.
Tandral lächelte leicht. "Ich gebe mir Mühe."
"Wollen wir weiter?"
Der Krieger nickte.
Der nächste Gang führte sie durch ein Gebiet, das schon eher an einen der Silithidbauten erinnerte, die sie bereits betreten hatten... auf dem Boden krochen Larven umher, die immer öfter anhielten und den Sand zu fressen schienen.
Der Gang endete in einer Kammer, an deren Südwand sich hunderte von Waben befanden.
"Faszinierend, wie etwas so beeindruckend und schreclich zugleich sein kann", staunte Kilean.
"Keine Sorge. Das ist weit harmloser als es aussieht."
"Das hier ist eine Vorratskammer, nicht wahr?"
"Nicht ganz", korrigierte Tandral. "Eher eine Art Kommandozentrale für die Futtersammler. Der Jäger verließ seinen Posten nie."
"Er ist sogar dort gestorben..." Der Druide deutete auf die Überreste einer übergroßen Silithidweste am südlichen Ende der Kammer.
"Richtig."
Der Krieger wandte seinen Blick zur Westwand und ging auf einen großen sechseckigen Steinblock zu, der eine Art Tür darzustellen schien. Auf dem Block pragte ein riesiges Wappen, ein Skarabäus. In Erinnerung schwelgend strich Tandral mit den Fingern darüber.
"Diesen Anblick hatte ich soviele Jahre..."
"So sah das Siegel von innen aus?"
Der Krieger wandte sich zu seinem Begleiter um. "Zuerst. Im Laufe der Zeit wurde es immer mehr eingewebt. Und jede Hoffnung erlosch."
"Eingewebt? Von was?"
Tandral deutete auf die wabenartigen Strukturen seitlich der Tür. "Die Larven, Silikatfresser, verwandeln den Sand in dieses Zeug."
"Weshalb haben sie die Tür so eingewebt? Ich meine, diese Kreaturen wollten hier doch auch raus?"
Tandral lachte. "Du stellst Fragen. Ich weiß es nicht. Ich könnte auch fragen warum sie sich nicht einfach unter dem Tor durchgefressen haben."
"Aus demselben Grund, aus dem sie nicht einfach darübergeflogen sind", erwiderte Kilean. "Sie konnten es nicht. Mächtige Drachenmagie... ich weiß nicht, wie genau es funktionierte."
"DU verstehst nicht. Sie haben es nichtmal versucht. Nicht einer der Gänge des Baus führte zum Rand."
"Hast du es versucht? Dich durchzugraben?"
"Am Anfang. Nicht lange, es war zu auffällig. Die Silithiden begannen als erstes die Wände am Rand einzuweben. Das hier war eine Höhle. Eine perfekte Bruthöhle für Silithiden, von Elfen geschaffen. Nichts kann sie stören und ihr Nahrungsvorrat war unbegrenzt."
"Wovon ernährten sie sich denn? Hier konnte nichts raus und nichts rein..."
"Es ist eine Art Kreislauf. Die Silikatfresser fressen den Sand und verwandeln ihn in dieses Gewebe. Die Silithiden fressen und formen dieses Zaug dann. Wenn sie etwas anderes als Sand finden können, machen sie sich darüber her. Und wenn sie erst ausgewachsen sind, sind sie sehr genügsam."
"Hm. Wovon hast du all die Jahre gelebt?"
"Von Silithiden."
"Ahja, ich glaube das hattest du in Tanaris schon erwähnt, stimmt's?"
"Genau. Das frische Gewebe ist weich, wenn es trocknet wird es steinhart. Man konnte so Verstecke bauen. Wasser konnte man bei der Brutmutter zur Genüge finden."
"Diese Ruinen sind aber nicht alles, was es in dem versiegelten Bereich gab, oder? Der Rest is unterirdisch - der eigentliche Bau, nicht wahr?"
"Ja und nein. Diese Ruinen sind ein Teil des Baus. Es gab hier mehrere Ebenen. Stockwerke wenn du so willst. Grosse Hallen und kleine Kammern."
"Wie tief geht es hier hinab? Wie verdammt groß ist dieser verfluchte Ort."
"Ich entsinne mich an 50 oder 60 Stockwerke... irgendwo gab es auch noch einen... Tempel."
"Einen Tempel? Wofür?"
"Ein Tempel eben", entgegnete Tandral schnell und schien in Schmerz an die Erinnerung zu verkrampfen.
"Verschweig mir nichts.. wenn du dich an mehr erinnerst, sag es mir ruhig."
Tandral seufzte. "Ich erinnere mich, dass ich nicht immer unfreiwillig hier war. Nachdem alle anderen tot waren, gingen Natalia und ich zu diesem Tempel. C'thun erwartete uns dort. Er schien überrascht, aber vielleicht war es ein Trick. Wir hatten die Wahl - Dienen oder sterben."
Er pausierte und erschauderte. "Also dienten wir, wenn auch nicht aus Überzeugung."
"Ich hätte dieselbe Wahl getroffen... und viele andere wohl auch."
"Er wusste es. Als Strafe nahm er mir ein Auge."
"Du sagtest, ihr wärt zu ihm gegangen. Das heißt... er ist hier irgendwo?"
"Irgendwo, ja. Ich kann seine Präsenz spüren... und er weiß, dass ich hier bin."
"Ähnelt er den Silithiden?"
"Ich weiß es nicht. Er sah für jeden anders aus. Natalia sah immer Elune in ihm."
"Was war er für dich?"
Der Blick des Kriegers shcien in die Ferne zu schweifen. "Ich... verzeih, aber ich möchte nicht darüber sprechen."
Kilean nickte. "Versteh ich. Es ist recht persönlich."
Tandral sank auf die Knie. "Ah..." Er presste eine Hand gegen die Stirn, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. "Ich... ich muss hier raus. Sein Einfluss... so überwältigend..."
Alarmiert half Kilean dem Krieger auf. "Dann lass uns hier verschwinden. Aber wir kehren wieder zurück..."
"Danke..."
Tandral entspannte sich erst wieder, als sie die Ruinen verließen.
Aber die Stimme des alten Gottes hallte immer noch in seinem Kopf wieder.
KOMM ZURÜCK! DU KENNST DIE WAHRHEIT!
Ich weiß, antwortete er in Gedanken.