"Ich muss zugeben, ich bin jetzt allerdings schon irgendwie neugierig, was die Zwerge herausfinden könnten, wenn wir ihnen helfen", meinte Kilean als die beiden durch Burg Cenarius schlenderten. "Das glaube ich dir ohne zu zögern. Aber wir sollten uns erstmal bedeckt halten. Natalias Tod wird für Aufruhr sorgen. Jetzt dorthin zu gehen, wäre Selbstmord", erwiderte der Krieger.
"Ja, vermutlich. Aber..."
"Nichts aber. Du weißt, worüber wir in Tanaris geredet haben. Dass ich dich nur mitnehme wenn..."
"Wenn ich weniger übermütig bin und vorsichtiger. Ich weiß. Das hier ist nicht Feralas. Ich war hier schonmal, ich weiß, wie gefährlich es hier ist", versicherte der Druide. "Und ich gebe dir ja Recht, wir sollten ein wenig warten. Was ich sagen wollte war, dass ich glaube, sie könnte das Geheimnis für dein Überleben all die Jahre sein."
Tandral sah zu Boden. "Das mag sein", meinte er schlicht.
"Ich nehme mal an, dass das Erforschen hier noch nicht geholfen hat, dich an mehr zu erinnern? Ich meine, außer dem was du mir in Tanaris schon erzählt hast?", hakte Kilean nach und musterte Tandral dabei aufmerksam.
"Nein, ich erinnere mich an nicht, was du wissen möchtest."
"Wissen möchte ich alles - aber die Zeit kommt sicher noch", tat Kilean es ab. Er merkte, dass Tandral nicht drüber reden wollte - noch nicht.
"Das letzte Mal warst du da noch anderer Ansicht."
"Man kann nunmal nichts erzwingen", winkte der Druide ab.
"Was möchtest du denn erzwingen?"
"Sag, kanntest du Natalia?", wechselte Kilean abrupt das Thema. "Sie wirkte fast überrascht, dich zu sehen."
"Ja, ich kannte sie", erwiderte der Krieger, während er den Blick fortschweifen ließ.
"Darf ich fragen woher?"
"Wir haben uns dort getroffen... während ich gefangen war."
"Ich verstehe."
"Was verstehst du?", fragte Tandral während er den Druiden argwöhnisch ansah.
"Es erklärt, warum sie dich scheinbar nicht angreifen wollte. Also wenn meine Vermutung, was sich all die Jahre dort abgespielt hat, stimmt zumindest."
"Und die wäre?"
"Sie hat in dem Bau überlebt, weil sie etwas gedient hat. Was, wenn..."
"Sie war stark als ich von dort fortging."
"Ich habe ein wenigdas Gefühl du verschweigst mir etwas, Tandral."
Über Tandrals Lippen huschte ein Lächeln. "Nur ein wenig?"
Entnervt seufzte Kilean. "Nein, eigentlich sogar sehr."
"Ohne sie wäre ich vermutlich nicht hier. Hätte ich gewusst, welchen Preis sie dafür zahlt..."
"Was soll das heißen?"
"Nur einer von uns konnte fliehen. Sie hielt mir den Rücken frei, nachdem sie mich überzeugt hatte, von dort zu verschwinden. Vermutlich bin ich mit dran Schuld, dass sie dem Wahnsinn anheim fiel."
"Falls sie da nicht schon konvertiert war."
Tandral schwieg einen Moment lang. "Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen."
"Weißt du, eine Sache an deiner Geschichte ist seltsam. Natalia hat die ganzen letzten Jahre an der Seite ihres Gefährten verbracht. Ihm sogar einen Sohn geschenkt."
"Nein, sie hat all die Jahre an meiner Seite verbracht, als kleine Schwester", beharrte Tandral.
"Du weißt selbst, dass da etwas nicht stimmt."
"Ja", meinte der Krieger nur schlicht.
"Wie dem auch sei... ich will die Wahrheit enthüllen... und wenn ich dafür bis nach Ahn'Qiraj hinein muss - natürlich ohne es zu überstürzen."
"Betritt nicht leichtfertig sein Reich wenn du nicht-" Der Krieger brach ab und schüttelte verwirrt den Kopf.
"Wenn ich nicht was?"
"Ich... weiß es nicht."
"Deine Erinnerung ist wie ein sturer Nachtsäbler", seufzte Kilean. "Kurz bevor man sie fängt, zieht sie die Rute ein und sprintet davon."
Der Krieger lachte leise. "Ja, da gebe ich dir Recht. Es ist vielleicht sogar besser so. Ich sollte froh sei, dass mein Geist verschlossen ist. So-"
Der Druide schwieg und wandte den Blick ab. "Kilean..."
"Vielleicht ist es das... Es ist spät... Gute Nacht, Tandral." Mit gesenktem Kopf ging Kilean ins Gasthaus und ließ Tandral stehen.
Am nächsten Tag, nach einem längeren Streifzug durch die Sanddünen Silithus', kehrte Kilean nach Burg Cenarius und wusch sein Gesicht in den Wassern des dortigen Mondbrunnens.
Als er wieder aufsah, bemerkte er das kleine Päckchen neben sich. Neugierig öffnete er es und fand einen filigran gearbeiteten Ring. Er seufzte. Er hatte da noch etwas zu erledigen.
Es kostete ihn nicht viel Zeit, Tandral zu finden. Er war froh, dass sich zumindest das auch nicht geändert hatte - immer, wenn der Krieger nachdachte, oder allein sein wollte, suchte er sich die nächstbeste Schmiede und arbeitete mit Metallen und Steinen. Er fand das irgendwie beruhigend, hatte er Kilean mal vor all der Zeit erzählt.
Laut räusperte der Druide sich, um auf sich aufmerksam zu machen.
"Danke für das Geschenk... der Ring ist sehr schön." Der Krieger nickte nur, ohne sich umzudrehen. "Wegen gestern... ich hätte dich nicht so einfach stehen lassen sollen. Und heute morgen alleine losziehen."
"Ich habe dich gesucht."
"Ich wollte eine Weile allein sein."
Der Krieger drehte sich um. "Das kann man auch sagen. Du möchtest immer, dass ich rede. Was ist mit dir?"
"Ich stecke irgendwo zwischen hoffen und resignieren." Der Druide lächelte gequält. "Das ist nicht immer ganz einfach."
"Ich weiß, und es tut mir Leid", entgegnte Tandral.
Kilean schüttelte den Kopf. "Nein. Ich bin es, der sich entschuldigen sollte."
"Ich verstehe dich. Ich verstehe deinen Kummer und deine Sorgen. Aber bitte sprich mit mir, statt nur zu reagieren."
Der Druide nickte langsam. "Versprochen."
"Ich habe dir die Sache mit Natalia verschwiegen, weil ich genau vor dieser Reaktion Angst hatte."
"Das war gar nicht der Grund, warum ich gegangen bin. Es war weil du sagtest, vielleicht sei es besser so, dass du dich nicht erinnerst. Es-"
"Bezieh doch nicht immer alles auf dich. Meine momentane Erinnerung besteht aus Blut, Schmerz, Verzweiflung und Abschnitten, an die ich mich nur verschwommen erinnere. Wenn wir uns einem alten Gott stellen wollen, ist es sicher besser, dass mein Geist verschlossen ist. So ist er es auch vor ihm. Mehr meinte ich nicht."
"Ich wünschte nur, deine Erinnerung an uns käme zurück. Es schmerzt... und ich weiß nicht, was ich noch tun soll..."
Tandral ging einen Schritt auf den Druiden zu. "Aber das braucht Zeit... Überleg nur, wo wir vor wenigen Monaten noch standen. Da kannte ich nichtmal meinen Namen." Er machte eine kurze Pause. "Ich habe gestern die Frau getötet, die mich dort am Leben hielt. Die einzige Verbündete, an die ich mich gut erinnern konnte, habe ich töten müssen. Und dann drehst du dich um und lässt mich stehen. Ich möchte dich nicht verlieren... egal was passiert. Verstehst du das?"
"Keine Sorge... dich einmal zu verlieren war mir genug."
Mit einem Lächeln trat Tandral auf den Druiden zu und umarmte ihn. Leicht zögerlich drückte der Krieger seinem Freund einen Kuss auf die Wange.
Den Atem des kriegers auf seiner Haut zu spüren, jägte dem Druiden einen angenehmen Schauer über den Rücken. Ein verlegenes Grinsen huschte über sein Gesicht und er errötete leicht.
Tandral tat einen Schritt zurück. "Wenn ich auf dich zugehe, macht es dich verlegen. Warum? Ist es nicht das, was du möchtest?"
"Doch schon..."
"Aber?"
"Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht erklären." Der Krieger seufzte.
"Also ist es falsch, auf dich zuzugehen und falsch es nicht zu tun."
Energisch schüttelte der Druide den Kopf. "Nein! So mein ich das nicht. Tu einfach das, was du für richtig hältst. Das, was du tun möchtest. Alles andere sieht man dann."
"Gut."
Der Druide tat einen raschen Schritt und küsste den Krieger auf dieselbe Stelle. "Und nochmal danke", flüsterte er ihm ins Ohr.
"Wofür?", fragte Tandral, während er sanft mit dem Daumen über die Wange des anderen fuhr.
"Einfach dafür, dass du da bist."
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