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Freitag, 17. September 2010

Sonnenuntergang


Einige Zeit später wanderten die beiden Nachtelfen wieder durch den Wald in Teldrassils Krone. Der Zirkel hatte dem Druiden lediglich eine Prüfung auferlegt - er hatte seine Künste lange vernachlässigt und musste sich den Tiergeistern erst wieder als würdig erweisen.
"Die Sonne geht langsam unter", bemerkte Kilean unvermittelt. Tandral stoppte und sah ihn an. "Möchtest du rasten?" Der Druide lächelte. "Nein, ich erinnere mich nur gerade daran, dass wir uns das erste Mal im Licht der Abendsonne begegnet sind."
Tandral schwieg einen Moment lang. "Dann lass uns eine Rast einlegen und du erzählst mir davon."

Sie setzten sich auf eine Erhöhung am Rande Teldrassils, so dass sie die untergehende Sonne beobachten konnten, dann fing Kilean an zu erzählen.
"Wusstest du, dass du der ältere von uns beiden bist? Mehr als dreitausend Jahre trennen uns." Der Druide lächelte einen Moment und schien seine Erinnerungen zu sammeln. "Ich hatte damals einen geheimen Ort im Eschental. Ein großer Baum inmitten einer Waldlichtung. Das war mein Ort ganz für mich allein und ich war recht oft dort. Irgendwann muss ich beim Dösen in der Sonne dort wohl eingeschlafen sein. Als ich wieder wach wurde, war es schon Abend und die Sonne neigte sich langsam dem Horizont zu." Er machte eine Pause. "Obwohl wir im Einklang mit der Natur lebten, war der Wald bei Nacht nicht ohne Gefahr. Ich war damals noch ein ziemlicher Angsthase und noch nicht in die Künste der Druiden eingewiesen worden." Er grinste. "Aber ich nahm mir vor ganz mutig zu sein und nach Hause zu gehen. So rechten Erfolg hatte ich damit nicht, ich habe mich dann ziemlich im Wald verlaufen und ganz verzweifelt zur Lichtung zurückgegangen. Immerhin wäre ich dort bestimmt sicher, dachte ich."
"Und?", warf Tandral ein. "Als ich dort ankam, war die Lichtung nicht leer, wie sonst immer. Im Schatten des Baumes, in dem ich immer döste, saß jetzt jemand anderes. Das warst du. Du warst zu Anfang ziemlich genervt, als du dich mit so einem Jungspund wie mir rumärgern musstest. Mich angefahren ich solle mich wie ein Mann verhalten und nicht wie eine Memme. Und was ich um die Zeit hier zu suchen hätte."
"Ich muss ziemlich unsympathisch gewesen sein..."
"Auf den ersten Blick schon, ja. Noch mehr in Rage getrieben hat dich dann, dass ich dich einfach ignoriert habe. Bin an den Rand der Lichtung gegangen und mich da hingehockt, von dir weggedreht. Du hast nie gemocht, wenn man dich stehen lässt. Einige Minuten hast du mich einfach nur zornig zusammengebrüllt und gedroht, meinen Eltern von meinem Verhalten zu erzählen und was ich eigentlich glaube wer ich sei. Ich hab nur entgegnet, dass meine Eltern tot sind. Darauf warst du ziemlich still und wurdest auf einmal richtig freundlich. Hast dich bei mir entschuldigt und mir angeboten, mich durch den Wald zu bringen. Ich nahm dein Angebot an, und als du dich von mir verabschiedest, meintest du nur, dass es dich freuen würde, wenn ich mal wieder die Zeit vergessen würde, mit einem verschwörerischen Lächeln auf den Lippen."
"Und... hast du sie vergessen?"
"Absichtlich, jedes Mal." Kilean grinste. "Aber du kamst lange nicht mehr. Beinahe sechs Monate lang nicht und weil ich enttäuscht war, ging ich nicht mehr so oft zur Lichtung. Dann aber saßst du dort schon als ich auf der Lichtung ankam. Du bist aufgestanden, hast mich angelächelt und gesagt, du hättest mich vermisst. Deinen zweiten Satz von damals habe ich nie vergessen." Fragend sah Tandral ihn an. "'Egal wie lange es dauert, ich komme immer zu dir zurück. Wir sind schließlich Freunde, nicht wahr?'", antwortete Kilean und versuchte dabei die Stimme des Kriegers zu imitieren.
Der grünhaarige Nachtelf lächelte kurz. "Scheint, als hätte ich mein Versprechen gehalten." Kilean nickte. "Habe ich dir damals verraten wo ich so lange war?"
Der Druide lachte laut. "Abstruse Geschichten hast du mir erzählt! Mit den Wolken im Himmel habe ich getanzt! Mit den Fischen im Meer bin ich geschwommen!" Er hielt inne. "Irgendwann habe ich einfach akzeptiert, dass es ein Geheimnis sein soll und nicht mehr gefragt."
"Ich werde sicher meine Gründe gehabt haben." Der Krieger zögerte einen Moment. "Und wann... hat sich mehr zwischen uns entwickelt?"
"Das war erst ein Jahr darauf. Es kommt mir vor als wär's gestern. Du standest vor mir, hast gestottert und gezittert. Ich hatte keine Ahnung was los war. Du meintest, du müsstest mir unbedingt etwas ganz Wichtiges sagen. Und egal was das sei, ich musste dir bei Elune versprechen dass wir immer Freunde sein würden."
"Ich glaube, das war mir ziemlich peinlich", meinte Tandral leise.
"Ich fand es niedlich, dich so zu sehen", entgegnete Kilean und der Krieger errötete sichtlich. "Du sagtest mir dann, dass ich für dich mehr wäre als nur ein Freund. Dass du mich lieben würdest wie man es sonst nur eine Frau tut", fuhr der Druide fort. "Ich war anfangs ziemlich verwirrt und wusste nicht, was ich sagen sollte. Also schwieg ich. Du warst so enttäuscht, dass du einfach nur wegliefst und wochenlang verschwandest. Ich hab dann überall gesucht, weil es mir aus irgendeinem Grund wehtat, dich nicht bei mir zu wissen. Auf den einfachsten Ort kam ich nicht. Erst nach einer Weile ging ich wieder zur Lichtung, wo wir uns immer getroffen hatten." Kilean streckte sich kurz und blickte den vorbeiziehenden Wolken nach.
"Ich war erleichtert, dich dort dann zu sehen. Als du mich bemerktest, hast du dich von mir weggedreht. Du sahst traurig aus, das war das erste Mal, dass ich dich so sah. 'Bei den Wolken und bei den Fischen hab ich dich gesucht. Aber hier beim langweiligen Baum sitzt du. Warum versteckst du dich vor mir, wenn du mich doch liebst?', habe ich dich gefragt. Du musstest lachen und meintest, du versteckst dich, weil ich dich nicht lieben würde. Aus einem Impuls heraus ging ich auf dich zu, 'Das stimmt nicht' erwidert und dich geküsst." Er lächelte verlegen, während der Krieger wieder rot wurde. "Du hast mich umarmt, leise 'Danke' geflüstert und bist dann einfach eingeschlafen."
Tandral starrte in die untergehende Sonne. "Beinahe einen ganzen Tag lang hast du in meinen Armen gelegen und geschlafen. Du musstest ziemlich erschöpft gewesen sein. Das erste was du sagtest, als du wieder wach wurdest war 'und ich dachte, ich hätte es nur geträumt.'"
"Ich muss dich sehr geliebt haben."
"Ja, aber deine Familie war wenig begeistert davon. Dein Vater war außer sich vor Zorn, als er davon erfuhr. Er hatte nur Gedanken für die Schande, die du über den Weg des Kriegers bringen würdest, übrig."
"Ich glaube, so denkt er noch heute. Sein Blick war so kalt...", murmelte Tandral niedergeschlagen.
"Danach waren wir offiziell nicht mehr zusammen. Wir trafen uns nur noch heimlich."
"Kam er dahinter?"
"Ich weiß es nicht. Als ich nach Silithus geschickt wurde und du einen Tag später dem Zirkel freiwillig deine Hilfe anbotest, fühlte er sich in seinem Verdacht wohl bestätigt. Als der Kampf gegen die Silithiden vorbei war, kam dein Vater zu mir und warf mir vor, ich sei der einzige Grund, weshalb du gestorben wärst. Als ich erwiderte, dass ich das einzige war, was dich glücklich gemacht hat, spuckte er vor mir auf den Boden und riet mir, ihm nie wieder unter die Augen zu treten, wenn mir mein Leben lieb sei."

Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis die Sonne ganz hinterm Horizont verschwunden war. Der Druide musterte den Krieger, der sehr nachdenklich wirkte. "Ich weiß, dass das alles sehr viel für dich ist... aber setz dich nicht unter Druck. Lass dir Zeit. Finde erstmal dich selbst, bevor du versuchst jemand zu sein, der du nicht bist."
"Danke... und danke, dass du das für mich tust. Lass uns weitergehen, unsere Rast war lang genug." Kilean nickte. Er sah noch ein letztes Mal zum Horizont, der noch leicht rötlich gefärbt war. Die Luft roch nach Abenteuer, fand er.

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